Montag, 12. Dezember 2016

Über das Loben

Ich selbst bin in einem Umfeld groß geworden, in dem das Motto galt:
"Nicht geschimpft ist genug gelobt!"

Vielleicht ist das auch ein Grund mit, warum mir der Beitrag von Meike Winnemuth so gut gefällt:

Ein Lob auf das Loben

Ach, es ist so verdammt einfach, die Welt blöd zu finden. Die Bahn hat schon wieder Verspätung, der Kaffee ist absurd teuer. Und was hat der Typ bloß für ein unmögliches Hemd an! 
Es gibt nicht wenige Leute, die sich glücklich jeden Tag versauen, indem sie diese schmaläugigen Blicke auf ihre Umwelt werfen, auf der Lauer nach Dingen, die sie ärgern könnten. Das Wetter, das plärrende Kind - nervig.
Wir leben in einer Kritikgesellschaft. Bereits in der Schule geht's darum, Fehler anzustreichen:
Nicht das Gelingen wird belohnt, sondern das Scheitern bestraft.
Läuft was gut, scheint das nicht der Rede wert. Oder wie der Psychiater Fritz Simon sagt: "Nicht geschimpft ist gelobt genug."

Dass es auch anders geht, habe ich gelernt als ich für ein paar Monate nach Brooklyn zog. Die New Yorker sind Meister der Komplimente im Vorübergehen.
"Great pedicure, Honey", sagt eine Frau beim Blick auf meine Füße und ist schon um die nächste Ecke verschwunden.
"Excellent choice", meint der Buchhändler, wenn ich ihm den neuen Ian McEwan auf den Kassentisch lege.
Dieses dauernde Loben war für mich zuerst ein Schock, die klassisch deutsche Reaktion ein misstrauisches "Was wollen die von mir?". Antwort: nichts.
Die sagen nur, was ihnen gefällt. Und das macht allen gute Laune: Die, denen was Schönes auffällt, freuen sich, die, denen es gesagt wird, noch viel mehr.

Seit Brooklyn habe ich mir angewöhnt, alles Schöne und Gelungene zu loben. Dafür gibt es täglich hundert Gelegenheiten. Einer Supermarktkassiererin sage ich: "Unglaublich, wie schnell Sie sind", einer Frau im Café, was für tolle Schuhe sie trägt, einem Mann im Vorgarten, wie schön seine Rosen sind. 

Viele reagieren verunsichert, einige fühlen sich fast belästigt, aber die Mehrheit freut sich einfach, so wie ich. Denn erst mit freundlichem Blick auf die Welt stellt man fest, wie großartig sie ist, wie viel täglich klappt, wie schön das Leben in all seinen Kleinigkeiten ist. 
Das bedetet nicht, dass ich ständig mit seligem Lächeln durch die Straßen hüpfe. Bitte! Ich bin Norddeutsche! Wir hüpfen aus Prinzip nicht. Aber das genaue Hinschauen (und das tollkühne Ausssprechen, wenn man sich über etwas freut) sorgt für ein flauschiges Gefühl der Zufriedenheit, das sonst auf legalem Weg nur schwer zu erreichen ist. 

Müssen Sie mal probieren.


Lieben ohne Angst

Gestern, am 2. Sonntag im Dezember, hat sich vielleicht so manch einer gewundert, dass in vielen Fenstern ab 19.00 Uhr eine brennende Kerze stand.

Gestern war der Weltgedenktag für verstorbene Kinder. Daher zündeten gestern weltweit Menschen  in den Abendstunden Kerzen an und stellten sie in ihre Fenster. Damit wollen sie an diesem Tag daran erinnern, dass das Licht dieser Kinder weiter leuchtet.

Ich möchte daher an dieser Stelle den Beitrag von Melanie Garanin veröffentlichen:

Lieben ohne Angst

„Wir werden immer, immer traurig sein, IMMER!
Aber bitte : Lass uns nicht immer, immer, immer unglücklich sein.
Das dürfen wir nicht.“

Das habe ich zu meinem Mann gesagt, ich glaube, ungefähr zwei Stunden nachdem unser kleiner Sohn gestorben ist.

In dem Moment an Glück denken.
Diese Angst, nie wieder glücklich sein zu können, weil man sich fühlt, wie noch niemals zuvor in seinem Leben.

Am selben Tag, etwa zwölf Stunden später. Es war so heiß. So drückend und still. Weltstillstand.
Plötzlich kommt Wind auf. Nein – Sturm!
Von einer Sekunde zur nächsten blitzt und donnert es. Kein Gewitter der normalen Sorte, sondern eins, bei dem die Blitze so hell und die Donner so laut sind, dass man normalerweise ins Haus flieht und Türen und Fenster verschließt.
Ich brachte gerade die Mülltonne an die Straße und mein Mann machte den Hühnerstall zu. (ja, so was macht man auch an so einem Tag…)
Wir trafen uns in der Mitte des Gartens und mussten lachen.

„Er ist angekommen“, sagten wir gleichzeitig.

Und da war ein Fünkchen, ein minikurzes Glimmen von Glück.
Sofort wieder weg, abgelöst von tiefstem Unglück, aber spürbar.

Sechs Wochen später.
Ich sitze in den Hügeln der Toskana.
Zufällig (komplett überstürzte airbnb- Planung, nach chaotischer Reisevorbereitung ohne großes Nachdenken….) in dem einsamsten Teil der Toskana. Was für ein Glück, diesen Ort gefunden zu haben, der gerade so gut zu uns passt.
Am Abend regnet es Sternschnuppen.

Wir reisen mit unserem kleinen Sohn, den wir hier genauso spüren wie zuhause.
Das Wissen, dass er uns für immer überall hin begleiten wird, tut weh, beruhigt aber auch. Man sieht unserer Familie das Unglück nicht an.

Glücklich sind wir noch nicht.
Aber immer wieder mal.

Wenn die Kinder und wir lachen und rumalbern. Wenn es gewittert.
Oder ein Wind kommt, wo man ihn nicht erwartet hätte.
Wenn nach dem Satz „Ich glaube, wir sollten mal ins Bett gehen…“ eine riesige Sternschnuppe Gute Nacht sagt.
(wenn das Zufall ist, heiße ich Karl-Otto haben wir früher immer gesagt)

Kleine Glücksmomente.
Manchmal fühle ich mich um Jahrhunderte gealtert. Und ich meine nicht nur körperlich. Was soll noch passieren?
Ich kenne den Glücks-Schlüssel.
Wir lieben uns.
Alle.
Die, die leben, genauso, wie die, die woanders sind.
Die Liebe macht nicht Halt vor irgendwelchen Elementen. Oder Körpern. Oder unterscheidet zwischen Seele hier, Seele da.

Und wo Liebe ist, kann das Glück nicht verschwinden.
Die Glut bleibt, egal, was passiert.
Man muss nur weiteratmen. Lieben. Ohne Angst.

Es ist anstrengend, sie anzupusten, damit sie funkt und vielleicht irgendwann wieder brennt, aber man kann es schaffen.
So ist das.